Machet jut, EXIL

Nach 25 Jahren – Berlins schönstes Möbelhaus schließt seine Türen für immer. 

Was als Idee von vier Freunden begann, wurde schnell zu einer der schönsten Erfolgsgeschichten der Stadt, die in zahllosen Wohnungen der Berliner Kultur und Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen hat. 
1998 gründeten vier Freunde – dabei zwei alleinerziehende Mütter – das EXIL Wohnmagazin. Sie wollten für sich einen Weg aus der Arbeitslosigkeit schaffen, aber auch ein modernes Möbelhaus gestalten. Kunst und Design sollten sich treffen, ebenso wie die inspirierenden Widersprüche einer Stadt im steten Wandel. Hier mischte sich arm mit sexy, modern mit heimelig, günstig mit luxuriös, rauh mit etabliert und Punk mit Wertkonsequenz. Schnell wurde der erste Standort des EXIL, das Zollhaus in der Yorckstraße, zum Geheimtip vieler Alt- und Neuberliner. 
Legten die Inhaber stets Wert darauf, nie mit den Namen ihrer Kunden zu werben, war es ein offenes Geheimnis: Hier richteten sich Dings und Bums aber auch Dingens und Kirchen ein. Auch mit dem Umzug an die Prenzlauer Allee und von dort in die Köpenicker Straße blieb es für die Menschen immer etwas Besonderes, dort einkaufen zu gehen, vor allem im digitalen Zeitalter. Bis zum Schluss bestellten die Kunden nicht online, man traf sich, um Dinge zu berühren, um berührt zu werden, denn das EXIL gab dem Berliner Lebensstil Farben, Formen, machte den visuellen und ökonomischen Wandel der Stadt erlebbar. Vielen Berliner Künstlern bot und bietet das EXIL eine Plattform, auch am jetzigen Standort, an der Köpenicker Straße 18-20 in Kreuzberg.
Wie schafft man es, 25 Jahre lang in einer sich ständig verändernden Stadt? „Wenn da, wo Freude ist, das Zuhause ist – dann war und ist das EXIL definitiv Zuhause“, sagt Conny Neiber, Geschäftsführerin.
Jetzt nach langen Verhandlungen wurde der Entschluss gefasst die Türen für immer zu schließen. Ein Stück Nestbau – ein Stück Stadtgeschichte geht zu Ende, und Berlin verliert ein Stück Vielfalt.
Der Abverkauf aller Möbel beginnt ab dem 15.02.23. Alle sind eingeladen, ein letztes Mal die schönen Räume in der Köpenicker Str. 18-20 in Berlin zu besuchen. Alles muss raus – wer zuerst kommt, schnappt zuerst.

INTERVIEW

Da wo Freude ist, ist Zuhause
Nach 25 Jahren schließt Berlins schönstes Möbelhaus, und eine Ära geht zu Ende, nicht nur für die Kunden. Ein Gespräch mit den beiden EXIL – Chefinnen Conny Neiber und Sunito Karthaus über Heimat, und wie man es schafft, dort ein Zuhause zu finden, wo sich ständig alles ändert. 
Was ist das wichtigere Möbelstück in einer Berliner Wohnung, das Sofa oder der Küchentisch?
Conny: Beides. 
Sunito: Ich glaube, der Tisch. 
Conny: Für mich ist das Sofa das Wichtigste. 
Sunito: Du hast recht. 
Conny: Es hat sich ein bisschen verändert. Anfang der Neunziger war es das Sofa. Das war der wirklich ausschlaggebende Punkt. Jetzt, wo es en vogue ist, dass man kocht oder man sich bei einer Party in der Küche trifft, ist es wichtig, einen geilen Tisch mit geilen Stühlen zu haben. In Berlin musstest du früher zu Hause nie irgendwas machen. Die neue Welt war draußen. Man traf sich entweder in Bars oder man ging essen.
Sunito: Man konnte es sich leisten. 
Conny: Das Einzige, was du zu Hause gemacht hast, war, im Bett zu liegen – oder du bist aufs Sofa rübergekullert. Es war nicht wichtig, einen Tisch zu haben. Aber ein Sofa!
Was hat das EXIL von konventionellen Möbelhäusern unterschieden?
Conny: Der Handel hat uns erst gar nicht verstanden.
Warum nicht? 
Sunito: Möbelfirmen sagen zu Händlern eigentlich: ‘So, ihr nehmt den Tisch und die passenden Stühle dazu, dann noch drei Sessel und eine Bank. Das stellt ihr euch schön ins Geschäft, das kaufen alle.‘ Wir haben aber immer gesagt: ‚Nö, den Tisch wollen wir nicht, aber den Stuhl finden wir gut, den stellen wir aber zu einem anderen Tisch.‘
Conny: Wir mischen alles. Das macht fast keiner.
So wie Helge Schneider Kreuzworträtsel löst. Kennt ihr das?
Conny + Sunito: Nee. 
Er will eins lösen, regt sich auf, ist dann aber schnell fertig. Er trägt einfach die Wörter ein, die er mag.  
Conny: Genau. Es gibt Hersteller, die nicht mit uns arbeiten wollten.
Sunito: Interessiert uns nicht. Bei uns steht ein Tisch für 600 Euro, und die Stühle drumherum kosten aber locker 1000. Einer. 
Conny: Wir suchen nur Sachen aus, die uns gefallen und gestalten das im Laden so, wie wir es schön finden, wie wir uns Wohnungen vorstellen.  
Ihr nehmt das ganze Team mit auf die Messen?
Conny: Teilweise. Es kommen auch viele Vertreter, die ihre Sachen zeigen. Unsere Verkäufer stehen ja an vorderster Front und wissen: ‚Worauf werde ich angesprochen? Was sucht der Kunde? Was fehlt uns im Laden?’ Sie sind auch die, die sagen: ‘Lass uns das doch mal ausprobieren. Jetzt ist gerade Eiche angesagt, und dann kommt was neues, etwa schwarz gebrannt oder gekälkt. ‘
Frauen als Unternehmerinnen – was ist euch da begegnet? 
Sunito: Frauen in der Möbelbranche? Das war nicht normal. 
Conny: Auf meiner ersten Messe habe ich abends aus dem Hotelzimmer heulend Sunito angerufen und habe gesagt: ‘Das kann ich nicht.’ Mein Geschäftspartner Micha und ich wurden immer als Pärchen gesehen, was wir nicht waren. Wenn ich auf der Messe sagte: ‚Das ist schön, das würde ich gerne kaufen‘, wurde nicht mir, sondern ihm geantwortet, obwohl er gar keine Frage gestellt hat. Aufträge wurden nur auf seinen Namen erteilt. Irgendwann bin ich auf bestimmte Stände gegangen und sagte: ‚Ach Schatz, ich hätte das so gerne für unser Haus in Marbella, das sieht so super aus.‘
Wie hat er darauf reagiert? 
Conny: Erst hat er damit kokettiert. Aber nachdem ich das angesprochen hatte, hat er Wert darauf gelegt, zu sagen: ‚Das ist meine Geschäftspartnerin.‘
Sunito: Platz zu machen, fiel ihm erst mal nicht so leicht.
Und die Kunden?
Conny: Reklamation. Eine Frau stand vor mir und machte Theater, kam aber nicht weiter, weil es keine war. Sie so: ‚Dann würde ich jetzt mal den den Chef sprechen.‘ Ich: ‚Ja, sie sprechen schon mit dem Chef.‘ Sie erwiderte: ‚Nein, ich meine den männlichen Chef.‘
Immer noch?
Sunito + Conny: Immer noch, aber es wird schon weniger. 
Stichwort Mitarbeiter: Wie findet man ins Exil? 
Conny: Bei uns sind fast alles Quereinsteiger, die vorher was anderes gemacht haben. Toll sind Barleute. Die können putzen, quatschen, Stress aushalten. Das sind Belastungsmenschen. Wobei wir aber auch tolle Leute aus dem Möbelhandel haben. Sabine zum Beispiel, dann haben wir Tischler/innen wie Katja,Jacky und Martin.Bei uns geht es um das Gefühl. 
Sunnito: Du wirst uns nicht mit einem Wahnsinnszeugnis beeindrucken. Nicht unwichtig, aber nicht entscheidend. 
Conny: Es muss passen. Wir können auch nicht auf den klassischen Autoverkäufer, der uns die Welt erklärt und dann am Kunden klebt. Da haben wir auch schon oft gesagt: ‚Tut uns leid, das geht leider nicht.‘
Das stimmt, euer Team hier hat ein sehr feines Gespür für Nähe und Distanz. 
Conny: Weil wir das wollen. 
Klug beobachten, die entscheidende Frage im richtigen Moment stellen. Das gibt es selten. 
Conny: Wir haben ein anderes System in unserem Möbelverkauf. Der klassische Möbelhandel gibt dir ein kleines Grundgehalt und dann musst du über deine Provision arbeiten. Haben wir nicht. Bei uns gibt es Festgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld. 
Sunito: Das war nicht üblich in der Stadt. Wir haben für alle zusammen eine Provision. Wenn hier ein bestimmter Umsatz im ganzen Haus generiert wird, kriegen alle was. 
Ihr hattet auch immer feste Mitarbeiter, die lieferten und aufgebaut haben. War das immer derselbe Trupp? 
Sunito: Oh, ja. Die kennen wir auch schon ewig. Jemand aus dem ganz alten Team hat sich selbständig gemacht. Das sind alles Cousins und Brüder. 
Conny: Die haben sich dann LIXE genannt, also EXIL andersrum.
Ihr habt euch von vornherein wenig darum geschert, was die Hersteller gedacht haben, sondern euch hat immer interessiert, was die Kunden wollen?
Conny: Eher, was wir wollen. Es gibt auch viele, die reinkommen, und mit uns nichts anfangen können. 
Geht das immer auf?
Sunito: Man bekommt schon ein Gefühl dafür, was gemocht wird. Man kann auch den Umsatzfaktor pro Quadratmeter Stellfläche für ein Modell ausrechnen. So sind wir nie rangegangen. Bei uns gibt es Dinge, die finden wir gut, aber verkaufen sie höchstens einmal im Jahr.
Ein Beispiel?
Conny: Den Ballchair, den verkaufen wir nie.  Aber wir haben ihn schon 8000 Mal verliehen (lacht). Als Stück für Filmkulissen oder Events.
Sunito: Conny, z.B.unser Molinari-Sofa. Das haben wir gekauft, weil wir das toll fanden.
Wie auch Frigerio, KFF, Lupus oder Signet……
Conny:Molinari ist eine italienische Firma, die kennen wir auch schon ewig. Wir waren bei ihnen im Werk, beim Besitzer zu Hause, haben sein Kind aufwachsen sehen. Wir wissen, wie sie ihre Leder einfärben, alles Handarbeit. In unserem ersten Laden in der Yorkstraße hatten wir einen ganzen Raum mit Molinari-Sofas. Die Kundschaft war damals anders. 
Inwiefern hat sich die Kundschaft seit Ende der Neunziger verändert? 
Conny: Die Leute kamen rein und waren interessiert: ‚Boah, was ist das? Wo kommt das her? Wie ist das hergestellt? Ist es mit Chrom gebleicht oder eingefärbt?’ Diese Fragen existieren nicht mehr. Es wird nach dem Preis gefragt. Nach dem Namen: Nach Flexform oder Rolf Benz. Ob das jetzt gefällt oder nicht, ist scheißegal. Wenn sie Besuch bekommen, wird gesagt: ‚Aha, guck mal ein Flexform-Sofa oder ein Rolf Benz Sofa. Da weiß man: Die haben für ‘ne Ecke 30.000 € hingeblättert. 
Es geht nur noch um Status? 
Conny: Früher waren mehr Leute an der Qualität des Möbelstücks interessiert. Es war privater. Es hatte mehr mit Gefallen zu tun. 
Ist diese Individualität durch das Internet verloren gegangen?
Conny: Instagram hat viel verändert. Die Leute zwischen 20 und 45 kommen rein und zeigen uns ein Bild: ‚So soll es bei mir aussehen. Und kosten soll es nix.‘ Immer weniger gestalten ihre Wohnung selber. Nehmen sich Zeit. Probieren aus. So wie sich die Instagram-Bilder ändern, so ändert sich auch das Zuhause. Vieles ist austauschbar, schon nach drei Jahren. Deswegen darf es auch nicht mehr kosten. 
Sunito: Es gab auch früher Leute, die genau wussten, was sie wollten. Aber immer weniger kommen rein und lassen sich überraschen.
Conny: Es gibt sehr viele Kunden ab 45, die achten noch auf Wertigkeit. Bei den anderen gilt: Es muss alles schnell gehen. Warten ist schwer. Wir haben aber keinen Online-Service. Wir haben auch fast nur europäische Firmen. Auf unserer Seite gibt es viele Fotos, aber keine Preise.  
Ihr wolltet nie ein digitaler Möbelladen sein?  
Conny: Mir konnte keiner schlüssig erklären, dass das wirtschaftlich für uns einen Mehrwert darstellt. Wenn sich jemand online ein Sofa kaufen und nach zwei Wochen ohne Begründung wieder zurückschicken kann: Wer bezahlt den Transport? Der Hersteller nimmt das Sofa nicht zurück. Wir haben leider keine Investoren, die uns Geld in den Hintern pusten und vorne kommt Puderzucker raus. Wir haben 20 Angestellte. Ich finde es fürchterlich, wenn Menschen morgens im Bett liegen und beim Kaffee drei Paar Schuhe bestellen und vier Jacken, weil das so angenehm ist, und dann womöglich die Sachen im Auto vier Wochen rumfahren und es dann alles zurückschicken. Berlin ist voll, weil’s nur noch UPS und FedEx gibt. Wir wollten daran nie teilnehmen.
Warum eigentlich Möbel? 
Conny: (lacht) Für Musik hat es nicht gereicht. 
Sunito: Es ist einfach passiert. Zufällig. Eine Freundin, mit der ich zusammen zeitweise im Krankenhaus gearbeitet hatte, heiratete Jochen den Mitbegründer von Schneller Wohnen. Ich bin gelernte Einzelhändlerin, dachte: Möbel? Kann ich auch. 
Zur Erinnerung: Schneller Wohnen war ein legendäres Berliner Möbelgeschäft, und da habt ihr euch kennengelernt? 
Conny: Wir haben dort gearbeitet. Ich kam aus Minden, Westfalen, nach Berlin, wollte Modedesign studieren, hatte auf dem Lette Verein angefangen und festgestellt: Ach, Schule ist es doch nicht. Neben Barjobs brauchte ich irgendwann einen vernünftigen für tagsüber. Ich habe bei Schneller Wohnen zunächst renoviert.
Renoviert? 
Conny: Man hat den Laden mitgestaltet, Wände gestrichen. Alles, was man streichen kann, habe ich gestrichen. Ich streiche heute noch gern. 
Sunito: Wir sind beide über den zweiten Bildungsweg gekommen. Ich hatte einen Hauptschulabschluss, eine Einzelhandel-Ausbildung,dann Mittlere Reife und eine Ausbildung zur Krankenpflege, danach Abitur und ein abgebrochenes Studium. 
Wie muss man sich den Laden und die Stadt vorstellen? 
Sunito: Schneller Wohnen war der Punk unter den Möbelläden. Eine völlig schräge Nummer. Es gab Dinge, die gab es nirgendwo. In ganz Europa nicht. 
Conny: Da gab es die ersten Moroso-Stücke, die ausgestellt worden sind.
Sunito: Pohlstraße, zweiter Hinterhof, eine alte Klavierfirma. Die Räume waren spektakulär. Es gab einen Raum mit Stuck-Elementen, wie in einem Ballsaal. Da standen Sofas, auf denen konntest du gar nicht sitzen. Aber die waren so abgefahren, die wolltest du haben! 
Conny: Du hast gedacht: Fuck, so was habe ich in meinem Leben noch nie gesehen. Für mich war Berlin sowieso crazy. Und dann diese Möbel zu auch wahnsinnigen Preisen – über die man heute aber lachen würde. Ich fand das super. Ich wollte wissen: Wo kommt das her. Wir reden hier von der Epoche nach der Schrankwand, nach der Holzvertäfelung.
Als der Laden 1997 schloss, habt ihr einfach gesagt: Dann machen wir einen eigenen auf? Ihr wart beide alleinerziehende Mütter. 
Conny: Flint, mein Sohn, war fünf, und Maxi, Sunitos Tochter, war zwölf. Wir wollten der Arbeitslosigkeit entgehen, und wussten ja, dass es funktioniert. Außerdem ist der Job toll: Man umgibt sich mit schönen Sachen. Alles besitzt diesen Wohlfühl-Aspekt, es ist haptisch und auch was fürs Auge. Wir hatten ein tolles Team und einen unfassbaren Spaß zusammen. Nicht nur Arbeiten, es war einfach Party, arbeiten, Leben, alles.
Seit den 90er Jahren habt ihr dabei geholfen, Berliner Nester zu bauen, zu gestalten. Die Spuren des EXILS stecken hinter unzähligen Türen der Stadt. 
Conny: Berlin war im Aufbruch nach dem Mauerfall. Man war viel mehr unterwegs. Die Szenen sind geclasht. Und alle sind zu uns gekommen, weil man sich untereinander kannte. 
War euer Laden ein Szenetreff? 
Conny: Alle kamen. Vom Altersheim über Praxen, Büros, Künstler und Ateliers. Alles. 
Wie kamt ihr zu euren ersten Geschäftsräumen? 
Conny: Früher, wenn man von Schöneberg nach Kreuzberg gefahren ist, kam man immer an dem Zollschuppen der Bahn vorbei. Dieser Bahnsteig, diese Laderampe mit den Schiebetüren – ich dachte immer: Geil, da würde ich gerne Kunst-Kaufhaus machen, für alle, die was produzieren oder machen, aber nicht die Muße haben einen Laden zu unterhalten. Das hat sich einfach ergeben. 
Ihr hattet noch zwei Partner.
Conny: Micha, der damals Schneller Wohnen gründet hatte und Peter, der auch dort gearbeitet hatte. Wir hatten keine Kohle, die Bank hat uns nichts gegeben. Wir haben alles zusammengekratzt von Freunden, von der Familie. 
Sunito: Hier ein Tausender, dort 1500. Alleine für die GmbH-Gründung brauchten wir 50.000 Mark. Und Geld zum Möbel-Einkaufen, insgesamt 250.000.
Das heißt, ihr habt euch eine Viertelmillion Mark zusammen geliehen? 
Conny: Mein damaliger Freund hat mir Geld geliehen. Dessen Mutter. Eine Freundin. Es waren ganz viele. Auch nur so 2000 von dem oder 500 von dem. Wir haben gesammelt.
Sunito: Die Banken haben uns ausgelacht. 
Conny: Doch dann hatten wir doch einen Banktermin. Ein Typ im Trenchcoat kam mit seinem Aktenkoffer rein. Ich hatte gerade den Flur gestrichen. Er hielt die Hand an die noch feuchte Wand, zückte ein gebügeltes Taschentuch und sagte: ‚Dieses Projekt ist nicht förderfähig.’ Weg war er. Wir, alle im Blaumann, haben uns totgelacht und erstmal ein Bier getrunken.
Wie kamt ihr auf den Namen EXIL? 
Sunito: Es gab eine Ausstellung in der Nationalgalerie, die hieß Exil. Es gab ein großes Plakat. Ich fand diesen Schriftzug sensationell. Losgelöst von Inhalten. 
Conny: Wir wollten was Einprägendes. Aber Exil gefiel uns auch. Wir kamen alle vier ja nicht aus Berlin. Wir waren hierher gekommen, weil Berlin einfach geiler war. 
Sunito: Die Leute sind aus dem Westen nach Berlin gegangen, weil sie auf den Rest der Republik keinen Bock hatten. 
Conny: Alle Jungs, die nicht zum Bund wollten, waren hier. Hier war viel mehr los. 
Sunito: Ich bin von zu Hause geflüchtet. Ich komme aus Gummersbach im Oberbergischen. Ich musste weg. 
Das EXIL war der Ort, in dem ihr euch eingerichtet habt, mit Sachen, mit denen dann andere wiederum…
Conny: …ihr Exil einrichten konnten. Das war die Idee.  
Die Wand in der Yorckstraße war irgendwann trocken. Wie ging es dann weiter? 
Conny: Wir haben zu viert den Bahnschuppen renoviert. Wir und unsere Freunde. Alle haben mit angepackt. Jesko hat die ganze Elektrik gemacht. Einer hat die Wände gesandgestrahlt, einer, den Boden gemacht. 
Sunito: Wir haben jedes blöde Gitter, was es da gab, und jeden Fensterrahmen angefasst. Selbst das Klo. 
Conny: Das Klo war der Knaller. 
Warum? 
Sunito: Das haben wir so gelassen. Eine alte Bahnhofstoilette, ein Raum, zwei Holzverschläge, die haben wir gold und silber gestrichen, für Damen und für Herren. 
Conny: Kannst du dich an die Acryl-Toiletten-Deckel erinnern, in denen Fische drin waren?
Sunito: Die der eine Typ geklaut hat? Da ist einer mit seinen alten Klodeckeln gekommen, hat unsere Acryldeckel mitgenommen, und seine montiert. Wahnsinn. 
Conny: Wir haben nur solche Sachen gehabt. Die Sprayer. Denen haben wir gesagt: Hier habt ihr Müllbeutel, schmeisst die Dosen nicht in die Büsche, ihr könnt hier hinten sprühen bis der Arzt kommt, dafür macht ihr vorne das Haus nicht bunt. Deal. Hat geklappt. Und dann die Gangs.
Sunito: Weißt du noch, der Tresor?
Conny: Den die Einbrecher aus dem Fenster geschmissen haben? 
Sunito: Der trotzdem nicht aufging. 
Conny: Die haben sich oben noch was zu essen gemacht. und eine Dose Fischfutter ins Aquarium gekippt. Wir hatten auch einen bewaffneten Überfall. Die sind mit dem Auto vorgefahren. Ausgerechnet an dem Tag war ich nicht da. 
Das ärgert dich immer noch?
Conny: Wirklich. Auf dem Weg nach draußen zum laufenden Auto haben die Gangster die Hälfte vom Geld verloren. Auf der Treppe, auf dem Parkplatz. Die Polizei kam zwei Tage später und nahm Fingerabdrücke von den Spiegeln im Flur. 
Was war damals Euer Topseller? 
Conny: In den 90ern das Rockstar-Sofa. Das rote Pesante und das Piuma-Sofa. 
Sunito: Dieser rote, dicke, satte Samt in der alten Kulisse. Zum Niederknien. 
Conny: Es besaß diesen Chalet/Englischen/Amerikanischen/Biedermeier/Rokoko – Charme. 
Kann man anhand von Sofas die drei Epochen des EXILs beschreiben? Waren zum Beispiel die Nullerjahre von eher breiten Sofas geprägt? 
Conny: Die breiten und tiefen Sofas hatten wir schon immer. 
Sunito: Erst war es geradlinig und ganz viel Leder. Dann wurde es weicher in den Formen, und heute ist es stoffiger geworden. 
Was hat sich noch verändert an den Berliner Nestern? 
Conny: Als wir angefangen haben, gab es noch unendlich viel Wohnraum, alle hatten Altbauwohnungen. Es wurde gemietet. Die Leute hatten Platz zu Hause. Jetzt braucht man einen großen Kleiderschrank. Und Schlafsofas, weil du kombinieren musst.
Sunito: Schlafsofas waren schon immer ein Thema in Berlin. Du hattest immer viele Gäste.
Die Leute haben heute weniger Platz, weil der Wohnraum teurer geworden ist?
Conny: Alle ist sehr komprimiert. Ausziehbare Tische gab es schon immer, Schlafsofas auch, aber die Nachfrage ist gestiegen. Eltern schlafen heute im Wohnzimmer und die Kinder haben die Zimmer, weil sie sich eine größere Wohnung nicht mehr leisten können. 
2003 wart ihr in der Backfabrik. Das muss die Zeit gewesen sein, als sich der Prenzlauer Berg grundlegend verändert hat. Wie habt ihr das empfunden?
Conny: Der Laden war super. Aber ich fand es schrecklich dort. Es war der Beginn der Ära, als alle nach Berlin kamen und Eigentumswohnungen kauften. Da war eine neue Szene in der Stadt, die auch zu uns kam. Die waren alle nett, aber pushy, hipstermässig. Viele hatten einen Stock im Arsch, und ich fand sie anstrengend. Bei denen die, sonst zu uns gekommen waren, spielte es keine Rolle, wie du ausgesehen hast, was du warst und wo du herkamst. Es war scheißegal, ob einer mit gerollten Scheinen in der Hosentasche oder mit dem Porsche vorgefahren kam. Im Prenzlauer Berg war das aber auf einmal wichtig. Es war wichtig, dass man das Auto und die Tasche hatte. Und viele, die zu DDR-Zeiten dort schon gewohnt hatten, kamen wütend rein: ‚Ihr Westler, ihr nehmt uns alles weg!‘ Mit dieser Situation bin ich nicht richtig klargekommen. Ich war unglücklich. Es war dann klar: Wir müssen weg hier.
Gentrifizierung wurde bei euch im Laden also sichtbar. 
Conny: Wenn sich jemand einrichtet, zeigt er dir ja Bilder aus seinem Innersten. Man bespricht: Wie sieht es bei dir aus? Was soll es denn sein? Was soll es denn können? Es waren sehr viele junge Menschen nach Berlin gezogen, die einfach unfassbar viel Geld von Mama und Papa hatten. Vieles war scheißegal. Mir macht es aber Spaß, wenn jemand ein teures Möbelstück toll findet, drei Mal deswegen kommt, nicht genug Geld hat und fragt: Wie kommen wir zusammen?’
Erkennt ihr an den Kunden schon, wer das Machtwort spricht?
Conny: Klar. Am Allerschlimmsten ist, wenn ein Elternpaar dabei ist, das bezahlt. Horror.
Warum?
Conny: Weil die mitbestimmen wollen. Und dann kriegt sich meistens das Pärchen in die Haare, weil entweder die Schwiegermutter oder der Schwiegervater da reingrätscht. Wir haben hier gelegentlich abstruse Beziehungsprobleme. 
Welche?
Conny: Pärchen kommt rein, die Mutter des Mannes ist dabei und übernimmt quasi die Einrichtung der Wohnung, während bei der Frau schon das Gesicht komplett zusammenfällt. Die Mutter besteht aber auf der Sofafarbe, die Frau verlässt den Laden, und der junge Mann weiß nicht, was er machen soll, weil er nicht die Mutter verprellen will, die soll ja das Sofa bezahlen. Gehen kann er also nicht.
Was für eine Rolle kommt euch dann zu? Müsst ihr moderieren?
Conny: Nicht einmischen. Aber es gibt auch andere knifflige Situationen: Ein Pärchen mit kleinen Kindern kommt. Sie fragen: ‚Charlotte jetzt sag doch mal, soll es das Sofa in blau oder das grün sein?‘ Charlotte sagt dann: ‚Ich will aber pink.‘ Die Mutter antwortet: ‚Pink? Nee, Pink geht nicht.’ Dann frag doch das arme Kind nicht. 
Sunito: Kommt eine Frau rein mit ihrem kleinen Mops. Der Mops springt aufs Sofa. Ich sage: ‚Entschuldigung, das geht nicht.‘ Die Frau: ‚Mein Hund muss das Sofa auch bequem finden. Und wenn das hier nicht geht, dann kann ich hier nicht kaufen.’ Dreht sich auf dem Absatz um und geht.
Ist schon mal jemand eingeschlafen im Bett? 
Sunito: Neulich kommt eine Frau rein, auf den ersten Blick ganz normal. Geht hoch in die Bettenabteilung. Zieht die Schuhe, Socken und auch die Jacke aus, legt sich ins Bett und schläft ‘ne halbe Stunde. Kollegin Sabine macht erstmal nichts. Die Frau kommt dann runter, schlendert durch den Laden, geht hinten an den Kühlschrank, holt das Essen von Elli raus, setzt sich hin, isst. Ich hin, erwarte das Schlimmste. Aber sie war sehr sympathisch, nur ein bisschen verwirrt. Ich habe mit ihr geredet, ihre Schuhe gefunden, dann ist sie weg, kam aber eine Stunde später zurück. Sie hatte ihre Tasche vergessen.
Gibt es tendenziell Möbelstücke, die eher vom Mann ausgesucht werden. Oder welche, die vom weiblichen Partner bestimmt werden? 
Conny: Peinlich ist, wie manche Pärchen miteinander umgehen. Frauen mit einem bösen Ton. ‚Jetzt bist du zu doof zum Ausmessen?‘ Oder Männer, die uns den Eindruck vermitteln, sie werden von den Frauen hierher geschleift und sind nur noch zum Zahlen da.
Sunito: Es geht auch andersrum.
Was tun? 
Conny: Ich sprech das an und sage: ‚Mensch, seht es doch mal so: Ihr macht doch jetzt was zusammen, was schön ist. Ihr gebt Geld für was aus, was euch begleitet, was euch euer Leben schöner macht. Ihr kauft euch doch zusammen was Schönes.‘
Funktioniert das? 
Conny: Sie fangen an zu überlegen. 
Kann man über die Jahrzehnte, die es euch gab sagen, das EXIL war wertkonsequenter Punk. Ihr habt euch nach euren Maßstäben immer wieder frei erfunden, gelebt und verkauft? 
Conny: Wir waren immer konsequent in unserer Einstellung. Ich habe viele Nächte in den 25 Jahren nicht geschlafen, weil ich nicht wusste, funktioniert’s nicht oder funktioniert’s dann doch? Einfach konsequent durchziehen. Es geht gar nicht anders. Und wir hatten immer unfassbar viel Spaß. Anders darf es nicht sein. 
Also ist Freude ein wesentlicher Motor – auch für das Einrichten eines Zuhauses? 
Sunito: Absolut. 
Conny: Wenn da, wo Freude ist, das Zuhause ist – dann war und ist das EXIL definitiv mein Zuhause.
 
BIO-KASTEN:
Wie kaum ein anderer Ort prägte das EXIL das Zuhause unzähliger Berliner und hinterlässt zahlreiche Spuren in ihrem Leben.
Das EXIL öffnete im April 1998 in einem alten Bahnschuppen an der Yorckstraße – am Rand des jetzigen Gleisdreieck-Parks, wo heute Neubauten stehen. Eine zweite Niederlassung in der Backfabrik im Prenzlauer Berg kam im Jahr 2003 dazu und wurde bis 2008 betrieben. Mit dem Umzug an die Köpenicker Straße im Jahr 2008 fand das EXIL seinen größten und letzten Standort. 
Die vier Inhaber Conny Neiber, Sunito Karthaus, Micha Hillmer und Peter Dethlefsen hatten das EXIL im Jahr 1998 allein mit der finanziellen Hilfe von Familienangehörigen und zahlreichen Freunden gegründet, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Kennengelernt hatten sich die vier im legendären Berliner Möbelkaufhaus Schneller Wohnen, sie waren – wie so viele ihrer späteren Angestellten – Quereinsteiger in der Möbelbranche. Ihre unkonventionelle Art, ihr Pioniergeist, ihre Freude am Job und ihr Auge für Design halfen vielen Menschen, sich in einer sich stetig wandelnden Stadt ein Nest zu bauen. In ihren Geschäftsräumen fand man nicht nur Möbel, sondern auch Kunst und Kultur, Events und nicht selten die große Liebe. Nach 25 Jahren wird das Exil 2023 nun für immer seine Türen schließen. Es hinterlässt zahlreiche Spuren in den Wohnungen und den Herzen vieler Berliner.
BILDUNTERSCHRIFT für Conny und Sunito Foto: 
Conny Neiber und Sunito Karthaus waren beide alleinerziehende Mütter, als sie gemeinsam mit Micha Hillmer und Peter Dethlefsen beschlossen, sich mit einem Möbelhaus selbsttändig zu machen. 

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